Interview mit Pfarrer Rev. Dr. Gerhard Sprakties

Autor von: Spiritualität als Resilienzfaktor in Lebenskrisen: Viktor Frankls Geistbegriff und seine Bedeutung für Psychotherapie und Beratung

Gerhardsprakties.de

Von Tom Edmondson für Meaninginministry.com


TOM: War die Logotherapie Teil Ihrer Ausbildung am Priesterseminar, bevor Sie in den Dienst eintraten, oder danach? Mit anderen Worten, war sie Teil des Lehrplans oder haben Sie die Logotherapie erst später entdeckt?

GS: Ich habe die Logotherapie während meines Studiums in Berlin entdeckt. Dort begann ich eine Grundausbildung in Logotherapie und Existenzanalyse bei Pastor Günter Funke. Später im Studium habe ich dann eine Vorlesung über Logotherapie und Seelsorge bei Prof. Dr. Wolfram Kurz in Tübingen besucht.

TOM: Ich habe dieselbe Frage zur Werteorientierten Imagination: War sie Teil Ihrer Ausbildung am Priesterseminar oder kam sie erst später?

GS: Die wertorientierte Imagination habe ich erst viele Jahre später während einer dreijährigen Ausbildung am Institut für Logotherapie und Existenzanalyse in Mainz kennengelernt. Ein Jahr der Ausbildung bei Dr. Peek aus Hamburg war primär der Wertimagination gewidmet.

TOM: Warum finden Sie die Logotherapie unter den vielen psychologischen Schulen ansprechend?

GS: Die Logotherapie ist eine spirituelle Psychotherapie die die geistige Dimension des Menschen einbezieht. Sie ist offen für spirituelle und religiöse Fragen und Werte. Für mich ist die Sinnfrage von grundlegender Bedeutung für ein gelingendes Leben.

TOM: Verfolgen Sie als Ansatz ausschließlich die Logotherapie oder beziehen Sie auch andere Methoden/Denkrichtungen in Ihre Arbeit ein?

 GS: Ich persönlich bin noch stark von der hypnosystemischen Psychotherapie von Gunther Schmidt in Heidelberg inspiriert. Er hat wichtige Impulse bei Milton Erickson in Amerika bekommen und diese dann in Europa weiterentwickelt.

TOM: Halten Sie Predigten? Wenn ja, haben Sie die Logotherapie in Ihre Predigten integriert?

 GS: Ja, jetzt in den Altenheimen und früher in der Gemeinde.  Meine Predigten sind stark von Frankl und der Logotherapie beeinflusst. 

Einige Logotherapeuten sind der Meinung, dass die Logotherapie säkular sein sollte. Pastoren wie ich empfinden die Logotherapie als sehr nützlichen Ansatz für die Seelsorge. 

Die Logotherapie sollte grundsätzlich weltanschaulich neutral sein, das heißt, offen für alle Menschen, egal ob gläubig oder nicht. Ich habe eine eigene sinnorientierte Seelsorgekonzeption entwickelt. In dem Buch “Die sinnorientierte Altenseelsorge. Die seelsorgliche Begleitung alter Menschen bei Demenz, Depression und im Sterbeprozess” (2013 im Neukirchener Verlag erschienen/jetzt neu bei Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen) habe ich meine langjährigen Erfahrungen mit Logotherapie und Altenseelsorge beschrieben. Mir hat die Logotherapie bei meiner Arbeit mit alten Menschen die am Sinn ihres Lebenszweifeln sehr geholfen. 

TOM: Es scheint, als würden einige Logotherapeuten die werteorientierte Imagination nicht akzeptieren. Was sagen Sie zu einer solchen Person?

 GS: Die wertorientierte Imagination - wie sie Prof. Böschemeyer entwickelt hat - ist eine sehr hilfreiche Methode, um einen direkten Zugang zum geistig Unbewussten zu finden. Freilich eignet sie sich nur für Personen, die für imaginative Verfahren ansprechbar sind.

 

Fragen zu Ihrem Buch:

TOM: Wie andere bringen Sie das Wort „Resilienz“ in die Logotherapie ein. Sie fügen die Erkenntnis hinzu, dass „Resilienz ein Nebenprodukt der Sinnfindung ist“ (Kapitel 5). Würden Sie etwas dazu sagen und wie es Frankls Arbeit bereichert?

GS: Wer einen Sinn in seinem Leben sieht, wird allein schon dadurch resilienter. Das Ziel ist für Frankl stets die Sinnfindung und nicht die Resilienz. Daher sehe ich in der entstehenden Resilienz ein Nebenprodukt der Sinnfindung. Auch wer in einem schweren Leiden einen Sinn erkennen kann, wird dies besser bewältigen.

TOM: Mir scheint, dass Begriffe wie „Religion“ und „Spiritualität“ seit Frankls Tod im Jahr 1997 strengere Bedeutungsnuancen angenommen haben. Wie unterscheiden Sie diese Begriffe in Ihrer Arbeit und Ihren Schriften im Jahr 2024?

GS: Spätestens seit den Missbrauchsskandalen in den kath. und evang. Kirchen ist bei vielen Menschen eine starke Tendenz zu spüren, weg von einem engen dogmatischen und moralischem Religionsbegriff hin zu einem mehr Erfahrungsbezogenen offenen Begriff von Spiritualität. Der Letztere ist für mich Ausdruck eines sich mehr und mehr individualisierenden Suche nach Geborgenheit, Orientierung und Sinn.

TOM: In Kapitel 7 gehen Sie auf spirituellen Missbrauch und ekklesiogene (durch Geistliche verursachte) Neurosen ein. Wie hilft der Seelsorger einer solchen Person bei der Heilung mit einem spirituellen Ansatz wie der Logotherapie? Und ist in einem solchen Fall die werteorientierte Imagination eine gute Wahl?

GS: Ich selber sehe mich nicht in der Lage, Menschen logotherapeutisch mit schwerwiegenden ekklesiogenen Neurosen und Missbrauchserfahrungen zu begleiten. Dies überlasse ich spezialisierten Fachärzten für Psychiatrie und Neurologie. Im Seelsorgegespräch gehe ich auf problematische Gottesbilder ein und versuche Abhängigkeiten und Gefahren aufzuzeigen. Für Menschen mit traumatischen Erfahrungen von spirituellem Missbrauch halte ich imaginative Verfahren für nicht angezeigt. 

TOM: In Kapitel 8 bringen Sie einige wichtige Erkenntnisse ein. Zum Beispiel, dass Menschen, die psychisch leiden, auch spirituell leiden. Ich denke, Frankl würde diesem Punkt zustimmen. Er würde jedoch argumentieren, dass Religion aus dem Gespräch herausgehalten wird, es sei denn, der Klient spricht sie an. Gibt es einen Zeitpunkt, an dem der Berater die Religion zuerst ansprechen sollte?

GS: Immer dann, wen es der Klient von sich aus einbringt und es für den weiteren Therapieverlauf hilfreich erscheint. Ansonsten bin da eher zurückhaltend.

TOM: Wie Sie (Kapitel 9) und andere (z. B. Rosemarie Jaffin) glaube ich, dass das Gebet als eine Art Dereflexion und Selbsttranszendenz dient. Würden Sie etwas mehr dazu sagen?

GS: Ja, es hilft die oft anzutreffende Fixiertheit auf Leid und Schuld zu durchbrechen und sie auf Gott hin zu transzendieren. Für mich gilt hier der Satz von Papst Benedict: “Wer glaubt ist nie allein.” Gott ist der Partner unserer intimsten Selbstgespräche wie schon der junge Frankl betont. Ein Gebet schafft Distanz und eröffnet einen Raum der Hoffnung und Freiheit.

TOM: Wie können wir – Pastoren, Logotherapeuten – in einer zunehmend spirituellen, aber nicht religiösen Atmosphäre von heute an Glaubwürdigkeit gewinnen?

GS: Indem wir situationsgemäß durch ein persönlichkeitsspezifisches Credo Zeugnis ablegen von der sinnstiftenden Kraft unseres christlichen Glaubens.

Vielen Dank!

Previous
Previous

Entrevista con el Rev. Dr. Gerhard Sprakties

Next
Next

Interview with Rev. Dr. Gerhard Sprakties